Wenn man heute über agiles Projektmanagement in der Software-Entwicklung spricht, meint man meist SCRUM. Durch seine einfachen Grundstrukturen
- 3 Rollen: Scrum Master, Product Owner und Team Mitglied
- 3 Meetings: Sprint Planning, Sprint Review und Daily Scrum
- 3 Dokumente: Product Backlog, Sprint Backlog und Burndown Chart
scheint es sich auch leicht einführen zu lassen und dementsprechend weit verbreitet ist SCRUM auch. Trotzdem wirft gerade die Rollenverteilung immer wieder Fragen auf.
Eine diese Fragen dreht sich darum, ob die Produktmanager- und Product Owner-Rollen durch zwei Personen besetzt werden soll, oder ob es nicht einfacher ist, die beiden Rollen durch einer Person zusammen zu führen. Man kann sich dieser Fragestellung von zwei Seiten annähern. Aus der Sicht eines Produktmanagements ist die Frage: „Kann ich den Produktmanager nicht einfach zum Product Owner machen?“ oder aus der Sicht des Entwicklerteams das agil arbeitet: „Kann mein Product Owner nicht auch das Produktmanagement übernehmen?“. Was passiert, wenn ich einem Mitarbeiter beide Rollen übertrage? Wird er eine Persönlichkeitsspaltung erleiden?
Komplexe Produkte erfordern viele unterschiedliche Aufgaben
In seltenen Fällen mag es möglich sein, dass der Product Owner und der Produktmanager ein und dieselbe Person ist. Für Produkte mit geringer Komplexität, die nur ein Endprodukt mit wenigen Anforderungen zum Ziel haben, kann der Product Owner auch die wenigen Aufgaben des Produktmanagers übernehmen. Doch das wird in den seltensten Fällen möglich sein, da es nur wenige Produkte gibt, die eine so geringe Komplexität haben und stark isoliert funktionieren. Vielmehr haben wir es meist mit vernetzten, interagierenden, sich gegenseitig beeinflussenden Produkten und Produktaspekten zu tun. Ein Produkt besteht oft aus einem Kernprodukt, die durch ein ganzes Ökosystem aus Diensten mit Unterstützungsanwendungen ergänzt wird, wie z. B. protokollierende Anwendungen, Supportsysteme, Monitoring-Anwendungen uvm.
Wie ein Product Owner die Arbeit am Produkt angeht
Bei der Entwicklung komplexer Produkte gibt es einen Product Owner für eine Anwendung. Er konzentriert sich auf die Aufgaben seiner Anwendung und grenzt die Anforderungen klar ab. Um die Kohärenz seiner Anwendung zu wahren, lehnt der Product Owner Anforderungen ab, die nicht zu dem Kernbereich seiner Anwendung gehört. Eine weitere wichtige Aufgabe die der Product Owner übernimmt ist die Arbeitsvorbereitung für sein Team. Er zergliedert die großen Zusammenhängenden Customer Journeys in Epics und dann weiter in User Stories. Dies sind die vom Team verdaubaren Häppchen. Sie können geschätzt werden, sind möglichst unabhängig voneinander, haben einen vom Kunden oder Benutzer realisierbaren Wert und können in irgendeiner Form getestet werden. Sie können aber auch noch verhandelt werden (in Umfang, Komfortabilität, Leistung usw.). Kurz sie entsprechen dem INVEST Prinzip: Independent, Negotioable, Valueable, Estimatable, Small, Testable. Der Product Owner kennt sein Team und kann einschätzen wie er die Aufgaben für das Team vorbereiten muss. Dies ist jedoch eine sehr umfangreiche Aufgabe, die einen hohen Kommunikationsaufwand mit sich bringt. Viele Rückfragen des Teams müssen beantwortet werden, oder erfordern eine weitere Verfeinerung der Anforderungen.
Die Aufgaben des Produktmanagers beziehen sich auf den Kunden
Während der Product Owner sich also hauptsächlich auf seine Lösung des Problems mit Hilfe einer Anwendung konzentriert, ist der Produktmanager für die Kundenseite verantwortlich. Er muss ein klares Bild der durch das Produkt adressierten Kundengruppen zeichnen. Diese Kundengruppen fasst er zu Personas zusammen, mit denen er deren Bedürfnisse und Interessen abstrahiert und gruppenspezifische Lösungen anbietet. Dazu bedient er sich der Marktforschung, um die Vorlieben dieser Personas herauszufiltern. In einem kreativen Prozess erstellt er eine Lösung, die das Problem und die Bedürfnisse der Personas löst. Im Verlaufe des Projektes erstellt er das Minimal Viable Product (MVP) und unterstützt dadurch die agile Produktentwicklung. Er definiert Kennzahlen, um das Produkt auf seine Eignung und den kommerziellen Erfolg hin zu überprüfen. Er steuert gegen, wenn das Produkt nicht die geforderten Ziele erreicht. Er sammelt Feedback und verankert die Ermittlung des Feedbacks im Produktentstehungsprozess. Neben der Anwendung als sichtbares Produkt, definiert der Produktmanager aber auch die Phase von der ersten Aufmerksamkeit für das Produkt bis zur Kaufentscheidung, ein Prozess, der bei komplexen Produkten viele Entscheidungen und Produktvergleiche umfassen kann. Dies kann er durch ein strukturiertes Vorgehen mit Customer Journeys erreichen. Aber auch die unerlässlichen Dienste um das Produkt, wie z. B. Gewährleistung, Support, Value Added Services, Verfügbarkeit und Qualität werden durch den Produktmanager definiert und zu einem Gesamtbild komponiert. Er betrachtet und gestaltet den gesamten Produktlebenszyklus. Er nutzt Friendly User Tests (FUT) und User Acceptance Tests (UAT), um seine Produktkonzepte zu validieren.
Zwei Rollen und der Interessenskonflikt
Die Trennung der beiden Rollen erfolgt nach dem Prinzip Separation of Concerns, die hier für eine klare Trennlinie sorgt. Der kundenorientierte Produktmanager, der als Advokat des Kunden auftritt und der Product Owner, der die Kohärenz seiner Anwendung vor Augen hat und die Interessen des (Teil-)Produktes verfolgt. Hier entsteht der Interessenskonflikt, denn es können Entscheidungen notwendig werden, die aus Kundensicht gelöst werden müssen und die der Produktmanager und der Product Owner verhandeln müssen.
Hier entsteht eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Produktmanager und dem Product Owner. Die vom Produktmanager entworfene Produktvision muss mit dem Product Owner abgestimmt werden und viele der Fragen aus dem Team, wie ein Feature im Detail realisiert werden soll, werden an dieser Schnittstelle entschieden. Die User Experience wird vom Produktmanager entlang der Customer Journey entwickelt und gemeinsam mit dem Product Owner zu Interaktionen und Micro-Interactions mit dem Produkt heruntergebrochen. Während ein Produktmanager eine ganze Produktfamilie verantwortet und diese im Sinne des Kunden konzeptioniert, ist ein Product Owner für eine kohärente Anwendung oder einen Teil des Produktes zuständig. Eine Produktmanager kann somit auf mehrere Product Owner zurückgreifen, um die Produktlösung zu erstellen.
Fazit
In der Produktentwicklung komplexer Produkte ist es sinnvoll, die Aufgaben nach dem Prinzip der Separation of Concers zwischen Produktmanager und Product Owner zu verteilen. Die Konstellation aus Produktmanager als Advokat des Kunden und dem Product Owner als Verteidiger eines kohärenten Produktes, ermöglicht eine gute Aufgabenverteilung. Persönlichkeitsspaltende Interessenskonflikte in einer für beide Rollen verantwortlichen Person entstehen nicht und das gesundheitsbewahrende Gleichgewicht bleibt erhalten. Beide Rollen benötigen ein fundiertes Wissen der agilen Methoden und sie müssen eine gute Kommunikationsbasis schaffen, um die Produktvision stringent zu verfolgen. Wenn die Aufgabenverteilung klar definiert ist und die Kommunikation zwischen den beiden Rollen gut funktioniert, steht einer effektiven Produktentwicklung nichts mehr im Wege. Sollten zu Beginn der Zusammenarbeit Reibungspunkte zwischen den Rollen Produktmanager und Product Owner entstehen, ist es sinnvoll einen produkterfahrenen agilen Coach einzusetzen, der die agilen Anforderungen an beide Rollen kennt und vermitteln kann.