Das Kano-Modell ist eine Methode zur Bewertung von Produktfeatures und wurde von Noriaki Kano einem Professor an der Universität von Tokio entwickelt. Das Kano-Modell ordnet die Features oder Eigenschaften eines Produktes in zwei Dimensionen ein: die Kundenzufriedenheit auf der y-Achse und die Erwartungen auf der x-Achse (Abb. 1).
Diese Trennung zwischen dem, was den Kunden zufrieden macht und seinen Erwartungen mag zunächst seltsam erscheinen. Doch auf diese Weise können – wie in der Grafik angedeutet- klare Featureprioritäten herausgearbeitet werden. Wie wir diese Priorisierung für unsere MVP-Definition nutzen können werden wir später noch sehen.
Um mit dem Kano-Modell zu arbeiten werden alle Produktfeatures in dem zweidimensionalen Modell eingeordnet. Für jedes Feature wird geprüft, wie der Einfluss auf die Zufriedenheit der Zielgruppe sein könnte und wie es die Erwartungen trifft. Im folgenden Beispiel sind die Produktmerkmale eines Smartphones dargestellt:
Zunächst einmal sehen wir uns jedoch die drei Kategorien an, in die die Produkteigenschaften fallen können:
Basismerkmale (rot)
Die Basismerkmale oder Hygienefaktoren eines Produktes können keinen Nutzer mehr begeistern, er erwartet sie. Sie sind so grundlegend, dass ihr Fehlen zu großer Unzufriedenheit beim Nutzer führen und er das Produkt im schlimmsten Fall sogar in Frage stellt.
Leistungsmerkmale (blau)
Die Leistungsmerkmale werden vom Kunden wahrgenommen, wenn sie in außerordentlicher Weise realisiert wurden. Dann führen sie zu einer Zufriedenheit beim Kunden. Bei mittelmäßiger oder gar schlechter Umsetzung, führen die Leistungsmerkmale zu einer Enttäuschung beim Benutzer oder Kunden. Eine Differenzierung vom Wettbewerb ist mit den Leistungsmerkmalen jedoch kaum zu erreichen.
Begeisterungsmerkmale (grün)
Mit den Begeisterungsmerkmalen können beim Kunden oder Nutzer Wow-Effekte erzielt werden. Mit diesen Merkmalen wird der Kunde hohe Zufriedenheit erreichen und seine Erwartungen werden übererfüllt.
Beim Kano-Modell ist zu beachten, dass unterschiedliche Zielgruppen die Einordnung der Produktmerkmale signifikant abweichend durchführen können.
Umsetzung in das Minimal Viable Produkt (MVP)
Im hier beschriebenen Vorgehen wird das Kano-Modell durch den oder die Produktmanager erstellt und die Bewertung wird durch die Produktmanager durchgeführt. Den Kunden ist zu diesem frühen Zeitpunkt im Produktentwicklungsprozess eine Einordnung aller Produktmerkmale noch nicht möglich, da gerade die Begeisterungsmerkmale nicht erfahrbar und deshalb auch nicht bewertbar sind. Hier dient das Kano-Modell der Entwicklung einer Strategie für die Time-to-Market optimierten Vorgehens für die Implementierung des Produkts.
Nach dem Produkt-Launch kann das Kano-Modell auch genutz werden, um Kundenfeedback zu sammeln und über Fragebogen eine Einordnung vorzunehmen. Dies ist jedoch nicht Gegenstand dieses Vorgehens.
Die Kategorisierung der Produkteigenschaften in Basismerkmale, Leistungsmerkmale und Begeisterungsmerkmale hilft uns bei der Definition des MVP. Im folgenden sind Schnitte durch die Quadranten des Kano-Modells gezeigt, die ein potenzielles MVP darstellen. Mit diesen Schnitten kann man MVPs für unterschiedliche Produkt-Launch-Strategien nutzen.
Plattform Strategie
Mit der Plattform-Strategie werden für das MVP nur Basismerkmale des Produktes entwickelt (orange Fläche). Wie bei allen MVP-Ansätzen ist dies natürlich nur ein Zwischenstand, der in der Zeit nach dem ersten Launch weiter entwickelt wird. Da mit den Basismerkmalen nur das absolute Minimum für ein Produkterlebnis bereitgestellt wird, kann man in Märkten mit starkem Wettbewerb mit einem solchen Produkt nicht bestehen. Hat man jedoch ein Produkt, das so neu und innovativ ist, dass es noch keine Wettbewerbssituation gibt, kann dies bereits ein launchfähiges Produkt sein.
Das Produkt mit dem Funktionsumfang der Basismerkmale kann jetzt als Plattform für die nächste Merkmale dienen. Strategische Entscheidungen können auf den Zeitpunt nach der Vervollständigung der Basismerkmale gelegt werden und neue Markterkenntnisse können somit in die weitere Entwicklung einfließen.
Bei einem solchen Basisprodukt besteht jedoch die Gefahr, dass ein Konkurrent das Potenzial des Produkts erkennt und dieses sehr schnell oder sogar schneller als der Produktpionier weiterentwickelt und somit entgehen dem Produktpionier wertvolle Geschäftsanteile.
Strategie der selektierten Begeisterungsmerkmale
Eine Strategie, die auch in hart umkämpften Märkten eingesetzt werden kann ist die Strategie der selektierten Begeisterungsmerkmale. Das MVP besteht hier aus der Gesamtmenge der Basismerkmale und einigen wenigen Begeisterungsmermalen. Mit diesen Merkmalen werden die Kunden über die Basismerkmale auf das Potenzial des Produkts aufmerksam und erhalten bereits einen außergewöhnlich hohen Nutzen. Das Produkt spiegelt eine hohe Innovationskraft wieder, die aus den Begeisterungsmerkmalen hervorgeht und macht die Nutzer neugierig auf mehr.
Ob die ausgewählten Begeisterungsmerkmale tatsächlich den Impuls für die Begeisterung der Kunden liefern, muss nach dem Launch des Produkts genau beobachtet werden. Hierzu müssen geeignete Mess- und Validierungsmethoden eingesetzt werden. Gegebenenfalls müssen diese Messverfahren bereits in der Realisierung des Produktes oder genauer des MVPs integriert sein, um kurz nach dem Launch die nötigen Daten zu erhalten.
In der Folge das Produkt-Launchs kann an weiteren Begeisterungsmerkmalen (dem Kopf) gearbeitet werden, oder die Leistungsmerkmale verbessert werden (der Hals).
Erweiterung des Kano-Modells
Im Rahmen der Priorisierung der Produktfeatures ist der Nutzen der Funktionen im Kano-Modell gut ablesbar und die Kategorien Begeisterungs-, Leistungs- und Basismerkmale helfen dabei, die richtigen Funktionen für das MVP auszuwählen.
Um jedoch die Time-to-Market zu verkürzen, muss auch die Kosten oder der Aufwand für die Realisierung eines Produktmerkmals berücksichtigt werden. Ohne das Kano-Modell zu überladen, kann der Aufwand oder die Kosten für ein Merkmal mit dem Durchmesser des Merkmalskreises – ähnlich einem Bubble Chart – visualisiert werden. Dies ermöglicht die schnelle Erfassung aller notwendigen Parameter für die Priorisierung, weil Kosten und Nutzen aus dem Diagramm abgelesen werden können. Der Produktmanager kann für das MVP die Begeisterungsmerkmale mit geringer Entwicklungsdauer auswählen, um die Time-to-Market zu reduzieren, wenn dies seiner Strategie entspricht.
Fazit
Das Kano-Modell ist ein einfach zu verwendendes Werkzeug, mit dem der Produktmanager verschiedene MVP-Strategien entwickeln und umsetzen können. Die visuelle Arbeit ermöglicht eine schnelle Einordnung der Produktmerkmale und ist ein hervorragendes Werkzeug zur Kommunikation und zum Herausarbeiten der geeigneten Produktmerkmale für ein MVP.
Die Einordnung der Produktmerkmale ist immer subjektiv. Die Arbeit mit dem Kano-Modell ist also keine Garantie für einen Produkterfolg. Vielmehr basiert es auf Hypothesen, die in Tests geprüft werden müssen. Ein Produktmanager sollte die Einordnung durch Marktstudien, Prototypen und Produktkliniken absichern und Anpassungen durchführen, wenn sich die erwarteten Erfolge nicht einstellen.